Vollblutdemokrat

Neulich hat ein Kandidat der Freien Wähler, aus der politischen Mitte der Gesellschaft, aufgefordert :“Es ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes , sich die Demokratie wieder zurück holen muss, und denen in Berlin sagen, ihr habt wohl den Arsch offen da oben, meine Damen und Herren“. (Hubert Aiwanger)

Das ist natürlich inhaltlich völlig falsch. Es hat bei uns im Land keine irreguläre Wahl stattgefunden, außer in Berlin. Trotzdem stellt das unsere Demokratie nicht infrage. Der Redner mein gar nicht unser demokratisches Wahlsystem, Bildung von Mehrheiten nach einer Wahl mit Regierungs- und Gestaltungsauftrag. Auch nicht die Gewaltenteilung in unserem Land zwischen Parlament, Justiz und Polizei. Er meinte das, was das Bundesverfassungsgericht 2009 geurteilt hat, das nämlich die politische Öffentlichkeit den Kern der Demokratie ausmacht. Dazu passt auch, dass das Institut für Meinungsforschung Allensbach seit einigen Jahren vermehrt feststellt, dass man seine Meinung nicht mehr frei äußern kann; bis heute geben das mehr als 50 Prozent der Bevölkerung an. Dazu kommen Regierungsschwäche wie Heizungsgesetz, die Bauerproteste, die Streiks, die Diskussionen um die großen Themen unserer Zeit. Dann der Ukrainekrieg, Migration, Klimawandel, Energiekrise, Gendersprache und sexuelle Selbstbestimmung, je nach Gefühl. Wenn man beispielsweise im Fußball heute sagt: “Es gibt nur 2 Geschlechter“, dann zahlt man dafür eine Geldstrafe. Wir befinden uns in einer Polarisierungsspirale, und es geht immer weiter. Die Polarisierung spaltet unsere Gesellschaft in zwei Lager.

Und wer es mit der gesamten Demokratie wirklich ernsthaft gut meint, ist gut beraten, diese Polarisierung zu stoppen. Das tut er nicht, indem er eine Demo zur Stärkung der Demokratie aufruft, die bedroht scheint von einem Extrem, aber das andere Extrem nicht einbezieht.

Was soll die andere Hälfte der Bevölkerung denken, wenn sie diesen Aufruf lesen. Demo gegen Rechtsextremismus. Sicher ist das gut. Aber viele erinnern sich an marodierende, brandschatzende und plündernde linke Gruppen zur Zeit des G20 Gipfel in Hamburg. An Straßenschlachten, die Bürgerkriegen ähneln. An die Schlachten um die Hafenstraße oder Rigaer94 in Berlin. Die vielen Maiproteste. Den Anschlag auf Tesla durch die linksextreme „Vulkangruppe“. Und gerade aktuell sucht die deutsche Polizei Staatsfeinde der RAF, Rote Armee Fraktion, die seit dem 1. Februar 1985 33 Mordopfer und einen toten Polizisten durch ihr Handeln hinterlassen haben.

Als Vollblutdemokrat hätte ich mir einen Aufruf zur vollständigen Ächtung der Rechtsextremen und der Linksextremen gewünscht. Das werde ich wohl in dieser einfachen Form nicht erleben. Denn Linksextremisten wissen genau, wie man die zivilgesellschaftlichen Bündnisse unterwandert und für die eigenen Ziele nutzt. Dieser sog. „Entrismus“ d. h. die taktische, meist verdeckte Unterwanderung einer Organisation oder Partei durch Linksextremisten, hat annehmbar in vielen Institutionen und Bündnissen bereits seit dem Radikalenerlass von Kanzler Willy Brandt und den Ministerpräsidenten der Länder am 28.01.1972, und insbesondere nach der Abschaffung desselben ab 1991, stattgefunden. Der allgemein gesellschaftliche Konsens gegen Rechtsextremismus in unserer Demokratie wird als Kampf gegen Hitler und den Nationalsozialismus umfunktioniert. Welcher Demokrat kann da schon gegen sein? Am Ende finden sich in scheinbar gemeinsamen Erklärungen und demokratischen Resolutionen genau die Ziele der Linksextremen wieder.

Aber das Bundesverfassungsgericht hat entsprechend geurteilt. Und das gilt. Nicht meine Vorstellung von Demokratie. Wenn also Teile der politischen Öffentlichkeit festlegen, nur Rechtsextremismus gefährdet unsere Demokratie und dagegen gilt es jetzt zu demonstrieren, dann ist das erlaubt und wird von mir demokratisch akzeptiert. Falls Sie, liebe Leserin und Leser, es jedoch so empfinden wie ich, das auch der Linksextremismus unsere Demokratie gefährdet, dann sind Sie nicht auf der falscher Seite, nur auf der Seite der schweigenden Mehrheit, womöglich.

Holger Lilischkis

Ein Demokrat